Aber warum behaupten leute einfach, ohne sich mit Geschichte auseinandergesetzt zu haben?
Weil in der populären Vorstellung (incl. Filme, Romane und sogar Dokus und Schulbücher) viel Unsinn weitergetragen wird, der in der Fachwelt schon lange widerlegt ist.
Und weil es Interessengruppen gibt, die bestimmte Narrative für ihre Zwecke verwenden, auch wenn sie belegterweise falsch sind, und diese Geschichtsdarstellungen deshalb am Leben erhalten wollen. Ein Narrativ ist eine "sinnstiftende Erzählung (...), die Einfluss auf die Art hat, wie die Umwelt wahrgenommen wird. Es transportiert Werte und Emotionen". Dafür spielt keine Rolle, ob das Narrativ historisch richtig ist, die Anhänger des Narrativs "wollen" es trotzdem so, denn es hängt sozusagen ihr Weltbild davon ab.
https://de.wikipedia.org/wiki/Narrativ_(Sozialwissenschaften)
Es gibt ein paar interessante Bücher dazu.
Roland Bernhard: Geschichtsmythen über Hispanoamerika. Entdeckung, Eroberung und Kolonisierung in deutschen und österreichischen Schulbüchern des 21. Jahrhunderts
Freies PDF: https://www.gei.de/fileadmin/gei.de/pdf/publikationen/Schriftenreihe/fulltext/SRfulltext134.pdf
So werden Schulbücher nicht nur in den Medien kritisiert, auch Wissenschaftler beklagen sich, dass Lehrwerke häufig erhebliche Mängel aufweisen. Sie seien zu unkritisch, zu einseitig, tradierten oft Klischeevorstellungen und Vorurteile, sie würden eine Fülle von sachlichen Fehlern beinhalten, dem wissenschaftlichen Stand um Jahrzehnte hinterherhinken, sich nicht dem Verständnishorizont von Jugendlichen anpassen und sich nur ungenügend gegenüber politischer Einflussnahme abgrenzen; dies sind nur einige der an Schulbücher gerichteten Vorwürfe
Ein Beispiel daraus:
Mit Irving, Draper und White wurde der Mythos der flachen Erde im 19. Jahrhundert zur Kritik an der katholischen Kirche verwendet. Was war nun der historische Hintergrund dieser Kritik und warum bot sich gerade Kolumbus als Identifikationsfigur für bestimmte Gruppen an? (...)
Nun stellt sich die Frage, wieso sich der Mythos trotz der massiven wissenschaftlichen Kritik in heutigen Schulbüchern so ungebrochen hält. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass insbesondere in den deutschen Lehrwerken die flache Erde, mit vielen Argumenten ausgeschmückt, gegenwärtig ist.
Felix Wiedemann: Rassenmutter und Rebellin - Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus
https://verlag.koenigshausen-neumann.de/product/9783826036798-rassenmutter-und-rebellin/
Die Behauptung, bei den Opfern der Hexenprozesse habe es sich um "weise Frauen" gehandelt, deren Wissen auf das Erbe "unserer" germanischen Vorfahren zurückgehe, kann zweifellos als nachhaltigster Topos populärer Hexenvorstellungen gelten. Dabei ist längst bekannt, dass es sich hier lediglich um eine romantische Erfindung handelt. Was aber macht den Mythos der weisen Frau dennoch so attraktiv, dass er bis heute immer wieder reproduziert wird? Die Studie rekonstruiert anhand eines umfangreichen Textkorpus aus dem 19. und 20. Jahrhundert Entstehung, Geschichte und Funktion dieses Topos. (...) Nicht nur in völkischen und neuheidnischen, sondern auch in feministischen Hexendarstellungen haben sich in diesem Zusammenhang wiederholt antisemitische Denkfiguren bemerkbar gemacht, die als antichristlicher Antisemitismus charakterisiert und analysiert werden könne.
Markus Krumm, Eugenio Riversi, Alessia Trivellone: Die Erfindung der Katharer
https://schnell-und-steiner.de/produkt/die-erfindung-der-katharer/
Statt um ein historisches Massenphänomen scheint es sich bei den Katharern vielmehr um einen modernen Mythos zu handeln, im Kern basierend auf einem im Hochmittelalter für den Häresiekampf geschaffenen Feindbild, ausgebaut von Historikern im 19. Jahrhundert und inzwischen eng verknüpft mit der regionalen Identität des heutigen Südfrankreich, das als „Katharerland“ auch touristisch vermarktet wird.